Ein Prototyp der
Sidewinder, die AIM-9A, wurde zum ersten Mal im
September 1953 erfolgreich abgefeuert. Die erste
Produktionsversion, AIM-9B, wurde ab 1956
ausgeliefert und wurde seitdem ständig weiter
verbessert. Dies führte zu einer Vielzahl
verschiedener Versionen, was zusätzlich noch
durch den Umstand verstärkt wurde, dass in den
Sechziger und Siebziger Jahren die US Navy und
die amerikanische Luftwaffe die Fortentwicklung
der Sidewinder getrennt voneinander betrieben.
Die Gründe dafür lagen vor allem in der
traditionellen Rivalität dieser beiden
Teilstreitkräfte, aber auch in den
unterschiedlichen Anforderungsprofilen in dieser
Zeit. So nahm in der Einsatzdoktrin der
US-Marineflieger der Luftkampf gegen feindliche
Jäger und Jagdbomber einen wesentlich höheren
Stellenwert ein als bei der Luftwaffe, die ihre
Hauptpriorität vornehmlich auf die Bekämpfung
verhältnismäßig behäbiger Bomber in großen
Flughöhen legte.
AIM-9B:
Erste Serienversion mit ungekühltem 70Hz
PbS-Suchkopf mit 4° Blickfeld, 25° Schielwinkel
und einer Zielverfolgungsrate von 11°/s.
Gasgenerator für 20s Flugzeit.
AIM-9C:
Version mit halbaktivem Radarsuchkopf,
verbessertem Raketenmotor, größeren
Steuerflächen und stärkeren Aktuatoren. Nur für
kurze Zeit von der US-Marine in Verbindung mit
der Vought F8C Crusader verwendet.
AIM-9D:
Version mit stickstoffgekühltem 125Hz-Suchkopf
mit verkleinertem 2,5° Blickfeld, 27°
Schielwinkel und auf 12°/s erhöhter
Zielverfolgungsrate. Erhöhte Reichweite und
Wendigkeit dank ogiovalem Nasenprofil für
geringeren Luftwiderstand, schubstärkerem
Raketenmotor mit längerer Brenndauer, größeren
Steuerflächen, stärkeren Aktuatoren und neuem
Gasgenerator für bis zu 60s gesteuerter
Flugzeit. Weiterhin Installation eines
verbesserten Gefechtskopfs mit neuem
Annäherungszünder. Marinevariante.
AIM-9E:
Verbesserte AIM-9B mit Peltier-gekühltem
100Hz-Suchkopf mit auf 16,5°/s erhöhter
Zielverfolgungsrate in einer verlängerten
konischen Nase. Luftwaffenvariante.
AIM-9F:
Auch als AIM-9B F.G.W.2 bezeichnet. Verbesserte
Variante der AIM-9B, mit neuem CO2-gekühltem
Suchkopf mit einer Zielverfolgungsrate von
16°/s, bei der an Stelle von Röhrentechnologie
eine zuverlässigere Festkörperelektronik
verwendet wurde. Diese Variante wurde von der
Bodenseewerk Gerätetechnik GmbH für die deutsche
Luftwaffe entwickelt und gebaut. Ein Einsatz in
den amerikanischen Streitkräften fand nicht
statt.
AIM-9G:
Verbesserte Version der AIM-9D mit neuen
Zielerfassungsmodi (SEAM, Sidewinder Extended
Acquisition Mode). Diese erlauben es dem
Suchkopf mittels des Bordradars ein Ziel
zuzuweisen oder aber den Suchkopf in einem
speziellen Raster den Bereich vor der
Startplattform abtasten zu lassen. Weiterhin
konnte eine Zielzuweisung auch über eine
Helmvisier vorgenommen werden. Diese Option
wurde aber nur in Verbindung mit der F-4N und
F-4S Phantom II genutzt und nach der Einführung
der McDonnell Douglas F/A-18 bis zur Einführung
der Variante AIM-9X nicht mehr verfolgt.
Marinevariante.
AIM-9H:
Erneute Verbesserung der G-Version, bei der die
fehleranfällige Röhrenelektronik durch weitaus
zuverlässigere Halbleiterbauelemente ersetzt
wurde. Erhöhung der Zielverfolgungsrate auf
20°/s und stärkere Aktuatoren. Marinevariante.
AIM-9J/N:
Weiterentwicklung der AIM-9E, bei der die
Elektronik teilweise von Röhren auf
Halbleiterbauelemente umgestellt wurde.
Installation eines neuen Gasgenerators für bis
zu 40s gesteuerter Flugzeit und neuer
Steuerflächen mit charakteristischen eckigen
Doppeldelta-Canards zu Erhöhung der Wendigkeit.
Die Variante AIM-9N, zunächst auch als AIM-9J-1
bezeichnet, weist gegenüber der Basisvariante
eine überarbeitete Elektronik aus und war
vorwiegend für den Export bestimmt.
Luftwaffenvariante.
AIM-9L:
Stark verbesserte Variante der Sidewinder auf
der Basis der AIM-9H. Einsatz eines
FM-modulierten Argon-gekühlten
Indiumantimonid-Suchkopfs, der erstmals auch die
Erfassung von Zielen auch aus der frontalen
Hemispähre erlaubte, während vorige
Sidewinderversionen nur von hinten auf ein Ziel
abgeschossen werden konnten. Überarbeitete
Steuerflächen in Form von spitz zulaufenden
Doppel-Canards. Verwendung eines überarbeiteten
Gefechtskopfes mit aktivem
Laser-Annäherungszünder. Einsatz sowohl bei
Luftwaffe als auch Marine und Beendigung der
nach Teilstreitkräften getrennten
Entwicklungslinien der Sidewinder. Die AIM-9L/i
ist eine von Bodenseewerk Gerätetechnik in
Lizenz produzierte Subvariante mit verbesserter
Unterdrückung von IR-Gegenmaßnahmen.
AIM-9M:
Überarbeitete AIM-9L mit raucharmem
Raketenmotor, überarbeiteter Elektronik und
besserer Unterdrückung von IR-Gegenmaßnahmen (ECCM).
Verschiedene Subvarianten mit einsatz- und
nutzerspezifischen Modifikationen.
AIM-9P:
Verbesserte Variante AIM-9J/N mit verschiedenen
Subvarianten. P-1: Einsatz des aktiven
Laser-Annäherungszünders der AIM-9L. P-2:
Verwendung eines raucharmen Raketenmotors. P-3:
Kombination der beiden vorigen Varianten. P-4:
Verwendung eines All-Aspect-Suchkopfs ähnlich
dem der AIM-9L. P-5: Verbesserung der P-4 mit
erhöhter Unempfindlichkeit gegenüber
IR-Störmaßnahmen. Die AIM-9P war ursprünglich
als leistungsreduzierte Exportvariante zur
Ergänzung der AIM-9L konzipiert worden, wurde
jedoch auf Grund ihrer vergleichsweise
geringeren Kosten und der Möglichkeit bereits
vorhandene AIM-9J/N aufzurüsten auch von der
US-Luftwaffe in größeren Stückzahlen geordert.
AIM-9R:
Variante der Sidewinder mit abbildendem
IR-Suchkopf. Entwicklung Ende der Achtziger
Jahre aus Kostengründen eingestellt.
AIM-9S:
Exportvariante der AIM-9M.
Die Sidewinder ist
der von den NATO-Staaten und einigen
amerikanischen Verbündeten am meisten genutzte
Luft-Luft-Flugkörper, bislang wurden 110.000
Stück für 28 Länder produziert. Er ist einer der
ältesten, kostengünstigsten und erfolgreichsten
Flugkörper im US-Waffeninventar.
Es existiert auch
eine Trainingsversion, die ATM-9L. Diese
besitzt keine Ruderflossen und keinen
Raketenmotor. Sie wird nicht verschossen,
sondern dient den Zielsystemen des Flugzeugs und
dem Piloten als Übungsobjekt zur Erfassung von
Zielen, da der Suchkopf voll funktionsfähig ist.
AIM-9X
Nachdem in Folge
der Beendigung des Kalten Kriegs und der
deutschen Wiedervereinigung westliche
Streitkräfte in den Besitz ex-sowjetischer
Waffensysteme gekommen war, stellte man fest,
dass der modernste Nahkampf-Luft-Luft-Flugkörper
des Ostblocks, die Vympel R-73 / AA-11 Archer
den damaligen westlichen Gegenstücken in nahezu
allen relevanten Parametern weit überlegen war.
Dies kam für die NATO-Streitkräfte als Schock,
war man doch bis dato davon ausgegangen, dass
sowjetische Raketensysteme weniger weit
entwickelt waren und man auch in der Zukunft
bestenfalls mit Lenkwaffen in der
Leistungsklasse der AIM-9L/M rechnen müsse.
Ursprünglich war angedacht, als Ersatz für die
Sidewinder die britische AIM-132 ASRAAM zu
beschaffen, doch fortwährende Verzögerungen
durch Streitigkeiten über die konzeptionelle
Auslegung des Flugkörpers zwischen
Großbritannien und dem damaligen
ASRAAM-Projektpartner Deutschland führten zu
einer Beendigung dieser Pläne seitens der USA.
Stattdessen wurde 1994 ein eigenes Programm für
einen neuen Kurzstrecken-Luft-Luft-Flugkörper,
der AIM-9X, gestartet.
Die AIM-9X wird
zwar weiterhin der AIM-9-Serie zugeordnet, ist
jedoch eine komplette Neuentwicklung, die
lediglich auf einige Komponenten ihrer Vorgänger
zurückgreift. So wurden bewährte Bauteile wie
der raucharme Raketenmotor und der Sprengkopf
von der AIM-9M übernommen. Neu ist der
Raketenkörper, der wesentlich widerstandsärmer
als derjenige früherer Versionen ist und nun
über die Heckflossen und nicht mehr über die
vorderen Canards gesteuert wird. In Verbindung
mit einer ebenfalls neu hinzugekommenen
Schubvektorsteuerung wird so eine beträchtliche
Erhöhung der Manövrierfähigkeit des Flugkörpers
erzielt.
Einen wesentlichen
Fortschritt gegenüber den bisherigen
AIM-9-Modellen ist der abbildende IR-Suchkopf,
dessen Herzstück ein Focal-Plane-Array-Detekor
mit 128x128 Elementen ist. Dieser besitzt eine
weitaus größere maximale Erfassungsreichweite
als die Suchköpfe früherer Sidewinder-Varianten
und kann durch eine Auswertung des IR-Bildes das
eigentliche Ziel zuverlässig von Störmaßnahmen
unterscheiden. Hinzu kommt, dass eine Erfassung
von Zielen bis zu 90° abseits der Flugrichtung
möglich ist, während ältere Modelle der
AIM-9-Serie diesbezüglich auf 27,5° beschränkt
sind.
Die Kommunikation
zwischen dem Flugkörper und dem Feuerleitrechner
der Plattform wird nun erstmals digital
abgewickelt. Neuere Flugzeuge beherrschen diesen
Modus bereits seit einigen Jahren, für
Plattformen, bei denen sich eine Umrüstung nicht
mehr lohnt (F-14, AV-8B und AH-1 Cobra), hat die
Rakete einen analogen Kompatibilitätsmodus, in
dem sie sich wie eine AIM-9M verhält und sich
gegenüber dem Feuerleitrechner auch so
identifiziert.
Die
Serienfertigung des Flugkörpers ist Ende 2002
angelaufen, die neuen Flugkörper hatten ihren
ersten Einsatz während der Operation Iraqi
Freedom 2003. Ob sie dort zum Einsatz gekommen
ist, wird derzeit noch geheim gehalten.
AA-2 Atoll
Eine besondere
Sidewinder-Variante ist die sowjetische R-3/AA-2
Atoll, die in ihrer ersten Version eine exakte
Kopie der US-amerikanischen AIM-9B darstellte.
Wie die Sowjets seinerzeit an eine Sidewinder
gelangt sind, ist bis heute nicht restlos
geklärt. Spätestens ab 1967 stand den Sowjets
eine Sidewinder zur Verfügung, die der
Starfighter-Pilot Wolf-Diethard Knoppe am 22.
Oktober 1967 auf dem Fliegerhorst Neuburg
entwendete und für 20.000 DM an zwei
Kontaktpersonen verkaufte. Die Rakete wurde
später - in unverdächtige Teile zerlegt - über
den Flughafen Düsseldorf nach Moskau geschafft.
Knoppe wurde ein Jahr später verhaftet, seine
Komplizen 1973. Für wahrscheinlich wird
allerdings auch gehalten, dass die Sowjets
bereits ab 1958 über eine Sidewinder verfügten,
die bei einem Luftkampf zwischen einer
nationalchinesischen F-86 Sabre und einer MiG-17
der Volksrepublik China am 24. September 1958
über der Straße von Formosa ungezündet im Rumpf
der MiG steckenblieb und über China in die
Sowjetunion kam. Gegenüber den hochkomplexen
sowjetischen Eigenbauten glänzte die Sidewinder
durch ihre bestechende Einfachheit. Seit ihrem
ersten Einsatz über Vietnam nahmen die Sowjets
auch selbständig Verbesserungen an den Raketen
vor, die durch ihre geringen Beschaffungskosten
vor allem in Dritte-Welt-Staaten sehr beliebt
wurden.