Fusionskraftwerk - Ein Blick in die Zukunft

 

Eine echte Alternative zu Atomkraftwerke. Bis sie wirklich in Serie gebaut werden können, haben die Wissenschaftler und Techniker einen langer Weg vor sich.

Text und Grafik vom

http://www.ipp.mpg.de/ippcms/de/pr/index.html

 

Über neunzig Prozent des Weltenergiebedarfs wird heute aus fossilen Energiequellen gedeckt. Die gegenwärtige Versorgungssicherheit lässt leicht vergessen, dass Klimaproblematik, begrenzte Brennstoff-Vorräte und politische Instabilitäten auf längere Sicht ein neues Energiesystem verlangen. Hinzu kommt der steigende Energiebedarf in den Schwellenländern und die schnell wachsende Erdbevölkerung. Selbst wenn es in den Industrieländern gelingt, in erheblichem Umfang Energie zu sparen, wird der Energiebedarf weltweit ansteigen. Die Auswahl an ausreichend ergiebigen Energiequellen, die Kohle, Erdöl und Erdgas in Zukunft ersetzen könnten, ist jedoch sehr begrenzt: Neben Kernspaltung und Sonnenenergie bleibt als dritte Möglichkeit die Fusion.

 

Was ist Kernfusion?

 

Ziel der Fusionsforschung ist es, aus der Verschmelzung von Atomkernen Energie zu gewinnen. Kernverschmelzungen sind wichtige Naturprozesse: Viele chemischen Elemente sind per Fusion aus Wasserstoff entstanden; Fusion ist die Energiequelle von Sonne und Sternen. Unter irdischen Bedingungen verschmelzen am leichtesten die beiden Wasserstoffsorten Deuterium und Tritium. Dabei entsteht ein Helium-Kern, außerdem wird ein Neutron frei sowie große Mengen nutzbarer Energie: Ein Gramm Brennstoff könnte in einem Kraftwerk 90 000 Kilowattstunden Energie erzeugen - die Verbrennungswärme von 11 Tonnen Kohle.

 

Die Fusionsbrennstoffe sind billig und auf der Erde gleichmäßig verteilt. Deuterium ist in nahezu unerschöpfbaren Mengen im Meerwasser zu finden. Tritium - ein radioaktives Gas mit kurzer Halbwertszeit von 12,3 Jahren - kommt in der Natur kaum vor. Es kann aber innerhalb des Kraftwerks aus Lithium gebildet werden, das ebenfalls reichlich vorhanden ist. Da ein Fusionskraftwerk zudem günstige Umwelt- und Sicherheitseigenschaften aufweisen wird, könnte die Fusion nachhaltig zur künftigen Energieversorgung beitragen.

Fusion von Deuterium und Tritium

 

 

Plasma

 

Mit steigender Temperatur gehen alle Stoffe nacheinander vom festen in den flüssigen und dann in den gasförmigen Zustand über. Wird die Temperatur noch weiter erhöht, entsteht ein Plasma, der "vierte Aggregatszustand der Materie": Die Atome des Gases trennen sich in ihre Bestandteile – Elektronen und Kerne auf. Beispiele aus dem Alltag sind die Plasmasäule in einer Neonröhre, ein elektrischer Funke oder der Plasmafaden eines Blitzes.

Blick in das Plasma der Fusionsanlage ASDEX Upgrade

 

Ein Plasma weicht in seinen Eigenschaften stark von normalen Gasen ab.  Zum Beispiel ist es elektrisch leitend. Seine Bewegung lässt sich daher durch elektrische und magnetische Felder beeinflussen. Dies macht man sich in den Fusionsanlagen zunutze, wo man das heiße Plasma in einen "Magnetfeldkäfig" einschließt und so von materiellen Wänden fernhält.

 

 

Zündbedingungen

 

Wie ein Holzfeuer setzt auch das Fusionsfeuer nicht selbständig, sondern erst bei den passenden Zündbedingungen ein. In einem brennenden Plasma müssen ausreichend viele Teilchen oft und heftig genug miteinander zusammenstoßen. Der Magnetfeldkäfig muss also genügend viele Teilchen zusammenhalten, deren Wärmeenergie nicht zu schnell an die Umgebung abgegeben werden darf. Dies drückt sich in Forderungen an Dichte, Temperatur und Wärmeisolation des Plasmas aus. Nötig sind.

eine Plasmatemperatur von mindestens 100 Millionen Grad

 

 

 

eine Energieeinschlusszeit von etwa zwei Sekunden. Dieses Maß für die Wärmeisolation gibt die Zeit an, die verstreicht, bis die über Heizungen in das Plasma gepumpte Wärmeenergie wieder nach außen verloren geht

 

 

 

 

eine Plasmadichte von ungefähr 1014 Teilchen pro Kubikzenti-meter - 250 000fach dünner als die Lufthülle der Erde. Wegen dieser extrem niederen Dichte besitzt ein brennendes Fusionsplasma trotz der hohen Temperatur eine kaum größere Leistungsdichte als eine normale Glühbirne.

 

Einem brennenden Plasma am nächsten ist die Europäische Gemeinschaftsanlage JET, das weltweit größte Fusionsexperiment. Das hier erreichbare Produkt aus Temperatur, Dichte und Wärmeisolation ist nur noch um einen Faktor 5 vom Zündkriterium entfernt

 

Magnetischer Einschluss

 

Wegen seiner hohen Temperatur kann ein Fusionsplasma nicht unmittelbar in materiellen Gefäßen eingeschlossen werden. Bei jedem Wandkontakt würde sich das dünne Gas sofort wieder abkühlen. Stattdessen nutzt man magnetische Felder, die den Brennstoff wärmeisoliert einschließen und von den Gefäßwänden fernhalten.

Geladene Teilchen - Ionen und Elektronen - werden nämlich in einem Magnetfeld auf Kreis- und Schraubenbahnen um die Feldlinien gezwungen. Die Teilchen sind auf diese Weise an die Feldlinien angebunden. In Längsrichtung der Magnetfeldlinien können sie sich dagegen unbeeinflusst bewegen. In einem geeignet geformten Magnetfeldkäfig kann ein Plasma daher eingeschlossen und von materiellen Wänden ferngehalten werden.

 

Besonders geeignet sind Magnetfelder, die ringförmig in sich geschlossen sind. Dies allein reicht jedoch für den Teilcheneinschluss nicht aus. Weil in einem reinen Ringfeld die Feldstärke nach außen hin absinkt, würden die Teilchen schnell an die Wand getrieben. Erst durch die Verdrillung der Feldlinien wird ein dauerhafter Einschluss des Plasmas möglich. Die im Ring umlaufenden Feldlinien spannen dabei wie Zwiebelschalen ineinander geschachtelte "magnetische Flächen" auf, in denen Dichte und Temperatur jeweils konstant sind. Das Fehlen einer radialen Feldkomponente, die die Plasmateilchen nach außen führen würde, ist Voraussetzung für den magnetischen Plasmaeinschluss.

 

Plasmaheizung

 

Bis zur Zündung muss das Plasma von außen geheizt werden. Dafür stehen mehrere Methoden zur Verfügung.

 

 

 

 

 

 

Geladene Teilchen im Magnetfeld

 

Magnetfeldsystem eines Tokamak

Die Stromheizung: Wird ein elektrischer Strom durch das elektrisch leitfähige Plasma geschickt, erzeugt er - wie in einer Kochplatte - über den Widerstand Wärme im Plasma. Da der Widerstand des Plasmas mit zunehmender Temperatur abnimmt, ist diese Methode nur zur Anfangsheizung geeignet.

 

Schema Stromheizung

Die Hochfrequenzheizung:

Prinzip "Mikrowellenherd": Strahlt man elektromagnet-ische Wellen geeigneter Frequenz in das Plasma ein, dann nehmen die Plasmateilchen Energie aus dem Feld der Welle auf und geben sie über Stöße an die anderen Teilchen weiter. Geeignete Resonanzen bieten die Kreisbewegungen der Ionen und Elektronen um die Magnetfeldlinien. Die Kreisfrequenz der Ionen liegt zwischen 10 und 100 Megahertz, die der leichteren Elektronen zwischen 60 und 150 Gigahertz.

 

 Schema Hochfrequenzheizung

 

 

Die Neutralteilchenheizung:

 

Teilchen hoher Bewegungsenergie, die in das Plasma hineingeschossen werden, geben über Stöße ihre Energie an die Plasmateilchen ab und heizen sie auf: In einem Neutralteilchen-Injektor werden die Ionen zunächst in einer Ionenquelle erzeugt und dann durch ein elektrisches Feld beschleunigt. Damit die schnellen Ionen ungehindert durch den Magnetfeldkäfig in das Plasma eindringen können, müssen sie zuvor wieder neutralisiert werden. Die neutralisierten Teilchen schießen in das Plasma hinein und geben über Stöße ihre Energie an die Plasmateilchen ab.

 

Schema Neutralteilchenheizung

Verunreinigungen

 

Wandatome, die durch Plasmateilchen aus der Wand des Plasmagefäßes herausgeschlagen wurden, können in das Plasma eindringen und es verunreinigen. Die schweren Atome der Elemente Eisen, Nickel, Chrom, o. ä. sind jedoch - anders als der leichte Wasserstoff - auch bei den hohen Fusionstemperaturen nicht vollständig ionisiert. Je höher die Ladungszahl dieser Verunreinigungen desto mehr Elektronen sind noch an die Atomrümpfe gebunden. Umso stärker entziehen sie dem Plasma Energie und strahlen sie als Ultraviolett- oder Röntgenlicht wieder ab. Auf diese Weise kühlen sie das Plasma ab, verdünnen es und verringern so die Fusionsausbeute.

 

Um das Gefäß vor Teilchen aus dem Plasma und umgekehrt das Plasma vor Verunreinigungen aus der Wand zu schützen, lenkt ein spezielles Magnetfeld die Plasmarandschicht auf besonders ausgerüstete Stellen der Gefäßwand, die Divertorplatten. So lassen sich die störenden Verunreinigungen aus dem Plasma entfernen. Zugleich wird die Gefäßwand geschont und eine gute Wärmeisolation des Plasmas erreicht.

 

Instabilitäten

 

Instabil nennt man einen Vorgang, bei dem eine anfangs geringe Störung eine Kraft hervorruft, die diese Störung verstärkt. Solche Instabilitäten können den Plasmaeinschluss behindern. Sie führen zu einer unerwünschten Verformung der Einschlussgeometrie und - schlimmstenfalls - zum Abbruch der Plasmaentladung.

 

Die Anzahl möglicher Instabilitäten ist sehr groß. Ihre Ursachen zu erkennen und Gegenmaßnahmen zu finden, war eines der Hauptarbeitsfelder insbesondere in den Anfängen der Fusionsforschung. Es erforderte in den meisten Fällen lange Experimentreihen und eine intensive Zusammenarbeit von Experimentalphysikern und Theoretikern.

Divertor in Asdex Upgrade

 

Materialforschung

 

Aufgabe der Materialforschung ist die Herstellung und Weiterentwicklung neuer Materialien für die speziellen Bedingungen in Fusionsanlagen.

 

So werden für besonders beanspruchte Stellen des Plasmagefäßes wie Divertor und Erste Wand Materialien und Beschichtungen entwickelt, die hitzebeständig, wärmeleitfähig und widerstandsfähig sind gegen physikalische und chemische Erosion.

 

Für das Materialverhalten im Kraftwerk am wichtigsten ist die Belastung durch die hochenergetische Fusionsneutronen. Sie durchdringen die Erste Wand und das Blanket und geben dort ihre Energie ab. Dabei aktivieren sie die Materialien und rufen zudem Störungen hervor wie Schwellen, Kriechen, Verfestigung und Versprödung. Ziel der Entwicklungsarbeiten - in Deutschland vor allem im Forschungszentrum Karlsruhe - sind widerstandsfähige und zugleich niedrig-aktivierbare Werkstoffe. Ihre Zusammensetzung soll zu einer möglichst geringen und rasch abklingenden Aktivierung führen und damit eine einfache Wiederverwendung oder Entsorgung möglich machen.

 

Experimenttypen

 

Auf dem Weg zu einem Kraftwerk konzentriert sich die Fusionsforschung auf zwei verschiedene Experimenttypen, den Tokamak und den Stellarator. Die meisten Anlagen sind heute vom Typ Tokamak, der am besten untersucht und am nächsten an die Zündbedingungen herangekommen ist

Beide besitzen ringförmige Magnetfelder. Tokamaks stellen einen Teil dieses Feldes durch einen im Plasma fließenden elektrischen Strom her. Stellaratoren dagegen bauen den Magnetfeldkäfig ausschließlich mit Hilfe äußerer Spulen auf. Damit lassen sie gerade dort Stärken erwarten, wo Tokamaks Schwächen zeigen. So sind Stellaratoren für Dauerbetrieb geeignet, während Tokamaks ohne Zusatzmaßnahmen nur pulsweise arbeiten.

Das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik ist das einzige Fusionszentrum weltweit, das beide Experimentiertypen untersucht. Dies ermöglicht den direkten Vergleich.

 

ITER

 

Mit dem Projekt ITER (lat. "der Weg") arbeiten die großen Fusionsprogramme der Welt - Europas, Japans, der USA und der russischen Föderation - gemeinsam daran, einen ersten Experimentalreaktor zu planen. ITER soll zeigen, dass es physikalisch und technisch möglich ist, durch Kernverschmelzung Energie zu gewinnen. Er soll zum ersten Mal ein brennendes und für längere Zeit energielieferndes Plasma erzeugen. Außerdem sollen wesentliche technische Funktionen eines Fusionskraftwerks entwickelt und getestet werden. Hierzu gehören supraleitende Magnetspulen, die Tritium-Technologie, das Abführen der erzeugten Wärme-Energie sowie die Entwicklung fernbedient auswechselbarer Komponenten; ebenso bearbeitet werden Sicherheits- und Umweltfragen.

 

Abgesehen von seiner Rolle als Gastgeber der Europäischen ITER-Gruppe trägt das IPP mit dem Forschungsprogramm seiner Fusionsanlage ASDEX Upgrade zur ITER-Vorbereitung bei. Außerdem stehen die IPP-Wissenschaftler in allen physikorientierten Fragen in engem Kontakt mit der ITER-Gruppe und haben in zahlreichen Vertragsstudien spezielle Probleme für ITER bearbeitet.

 

 

 

 

Stand der Forschung

 

Die Planungsarbeiten für ITER wurden Mitte 2001 beendet. Gegenwärtig laufen Verhandlungen über die rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen des Projekts. Für den Standort der Anlage einigte man sich im Juni 2005 auf das südfranzösische Cadarache. Eine die Gründung der internationalen ITER-Organisation abschließende Vereinbarung soll noch im gleichen Jahr getroffen werden.

 

Ungefähr zehn Jahre nach Baubeginn könnte ITER das erste Plasma erzeugen, so dass mit einem Betriebsbeginn im nächsten Jahrzehnt gerechnet werden kann. Dann werden rund 600 Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker rund zwanzig Jahre an der Anlage arbeiten. Die Baukosten werden auf 4,6 Milliarden Euro, die Betriebskosten – einschließlich Rücklagen für den späteren Abbau – auf jährlich 265 Millionen Euro veranschlagt.
 

 

Schematische Darstellung des Experimentalreaktors

 

Technische Daten: (Stand 2001)
Gesamtradius 10,7 Meter
Höhe (über alles) 30 Meter
Plasmaradius 6,2 Meter
Plasmavolumen 837 Kubikmeter
Plasmamenge 0,5 Gramm
Magnetfeld 5,3 Tesla
Maximaler Plasmastrom 15 Megaampere
Heizleistung und Stromtrieb 73 Megawatt
Fusionsleistung 500 Megawatt
Energieverstärkung 10
Mittlere Temperatur 100 Millionen Grad
Brenndauer > 400 Sekunden

 

 

 

JET

 

Der Tokamak JET - das weltweit größte Fusionsexperiment - hat die Aufgabe, Plasmen in der Nähe der Zündung zu untersuchen. Nur noch um einen Faktor sechs ist das JET-Plasma von der Zündbedingung entfernt. Zum ersten Mal in der Geschichte der Fusionsforschung ist es mit JET 1991 gelungen, nennenswerte Energie durch Kernfusion freizusetzen.

 

JET wurde ab 1973 von den Mitgliedern des Europäischen Fusionsprogramms gemeinsam konzipiert, innerhalb des vorgegebenen Kosten- und Zeitrahmens gebaut und wird seit 1983 gemeinsam betrieben. Das IPP beteiligt sich an JET durch Entsendung von wissenschaftlichem und technischem Personal.

 

Stand der Forschung

 

Seit Januar 2000 hat JET seine Organisationsform geändert und ist kein selbständiges Gemeinschaftsprojekt der Europäischen Fusionslaboratorien mehr. Es wird nun im Rahmen des "European Fusion Development Agreement" (EFDA) betrieben. Für den technischen Betrieb ist das englische Fusionslabor in Culham zuständig, während zeitweise abgeordnete Wissenschaftler und Techniker aus den Europäischen Laboratorien in einzelnen Experimentierkampagnen an der Anlage arbeiten.

 

Bereits erfolgreich geprobt wurde, JET-Entladungen direkt vom jeweiligen Heimatlabor aus vorzubereiten. In dieser neuen Organisationsform wird das leistungsfähige JET-Experiment über das bisher vorgesehene Betriebsende im Dezember 1999 hinaus zur Vorbereitung des geplanten Experimentalreaktors ITER genutzt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Plasmagefäß von JET

 

Schematische Darstellung JET